Der Laden nebenan

3. November 2022

Der Laden nebenan

Seit der Eröffnung meines Lädchens werde ich immer mal wieder gefragt – teilweise skeptisch und teilweise mit unverhohlenem Respekt gegenüber meiner Entscheidung -, was mich dazu bewogen hat in der digitalen Übermacht des 21. Jahrhunderts mit den vielen Online-Shops, den Multi Chanell-Einkaufsmöglichkeiten, mit Amazon & Co., einen stationären, einen ANALOGEN, ja traditionellen Laden aufzumachen. Das lässt sich natürlich nicht in einem Satz beantworten.

Eine nicht unwesentliche Rolle spielt auch, dass „Fräulein von Feder“ nicht mein erster Laden ist. Vor 15 Jahren gab es die „Stilhandlung“, auf der Nordseeinsel Borkum eröffnet und im Zuge meiner Heimkehr in meine Geburts- und Lieblingsstadt Dresden hier weiter betrieben. Private und berufliche Gründe veranlassten mich Ende 2009, Laden und Konzept in andere Hände zu legen. Nach der Rückkehr in alte Gefilde – als Touristikerin – prognostizierte ich schon damals: Mal schauen, was in 10 Jahren ist; aller guten Dinge sind drei (3 Läden). 

Als Quereinsteigerin im Einzelhandel brachte ich vor allem eines mit: Unendlich viel Leidenschaft für meine Idee, mein Konzept und zudem alle Eigenschaften, die ich bereits in meinen Angestelltenjobs als Geografin und Touristikerin aufweisen musste. Unbändigen Arbeits- und Kommunikationswillen, Geduld und jede Menge Abenteuerdrang. Um ein inhabergeführtes Facheinzelhandelsgeschäft aufzumachen, ist neben vielen anderen das Letztgenannte unbedingt nötig. Denn es ist ein Abenteuer. Eines mit verschlungenen Wegen, Tälern und Gipfeln, sehr mühsamen Strecken und – auch – endorphingeschwängerten Ausblicken. 

Erneut, und zum dritten Mal, einen stationären Laden zu eröffnen, war für mich nur logische Konsequenz. Meine uralte Leidenschaft für Stift und Papier, meine Ausbildung im Kreativen Schreiben, meine Erfahrungen als Einzelhändlerin sind die Basis und die Grundlage für „Fräulein von Feder“. Und ja: Mehr als bewusst stationär und genau an diesem Standort in Striesen/ Blasewitz. Ich bin hier aufgewachsen und habe auch einen wichtigen Teil meines Erwachsenenlebens unweit meines Ladens verbracht. Ich kenne Viertel und Ecke aber auch aus den Erzählungen meiner Mutter. 

Früher, man sieht es noch heute, gab es hier an nahezu jeder Ecke einen Laden. Quasi für jeden Bedarf, nicht nur für den täglichen. Kleine inhabergeführte Lädchen – mit einem überschaubaren Sortiment, mit Jemandem hinter der Ladentheke, den man als Kunde gut kannte. Kleine Läden als feste Größe im Quartiersleben, auch als kommunikative Anlaufstelle. 

In vielen städtischen Quartieren, nicht nur in Deutschland, geht der Weg heute wieder genau dorthin. Bei uns ist es die Dresdner Neustadt, die damit punktet – Dresden-Ost, nicht nur Striesen/ Blasewitz – hat deutlichen Nachholbedarf. Einkaufen im Viertel: In einer Welt der täglichen Reizüberflutung, des Mainstreams, der überall austauschbaren Billigketten im Einzelhandel (und der Online-Billigportale!), genießen viele Menschen bewusst den zeitweiligen Ausstieg aus der digitalen Einkaufswelt und entdecken stattdessen wieder die Reize des analogen Einkaufens um die Ecke. 

Das Traditionelle vermittelt ein Gefühl von Sicherheit und Langsamkeit und steigert damit das Wohlbefinden. Keine fortwährend neuen Trends, keine täglichen Updates; kein Wischen, kein Touch(en), kein Tippen: Zurück zum gehobenen Blick! Und zurück zur Sinnlichkeit. Denn nichts anderes bedeutet analoges Einkaufen: Nämlich Einkaufen mit allen Sinnen. Sehen, Anfassen, Schnuppern, Hören, Schmecken – dort, wo es etwas zu verkosten gibt. Diese sinnliche Wahrnehmung macht natürlich nur dort Spaß, wo der Kunde ein Einkaufserlebnis verspürt, wo er Atmosphäre wahrnimmt. Das tut er nur dort, wo sich ein Laden durch Charme, Aura, eine Geschichte, durch die Haptik der Produkte, die man anfassen oder real betrachten kann von den unzähligen Onlineshops abhebt. Weil ein Onlineshop das nicht hat, weil er es nicht leisten kann.

Die Ware in direkten Augenschein nehmen, Anfassen, Ausprobieren und sofort mitnehmen: Bei wertiger Papeterie und exklusiven Schreibgeräten punktet genau das. Neben der persönlichen Beratung sind das die Faktoren, womit das Geschäft um die Ecke gegenüber dem Onlineversand klar im Vorteil sein kann. Ich schreibe bewusst „kann“, denn natürlich bietet das nicht jedes Ladengeschäft. Unsre Städte und Viertel sind voll von leidenschaftslosen, hässlichen, altbackenen und phantasielosen Geschäften, voller Sortimente, die aller paar Monate aus angestaubten Kartons genommen werden oder sich nur am 08/15-Massengeschmack orientieren. Das hat natürlich nichts mit einem Einkaufserlebnis zu tun. Hinzu kommt, dass die Menschen im Zeitalter des Überflusses, wie Seth Godin sagt, oftmals keine Waren und Dienstleistungen kaufen. Nein, sie kaufen Beziehungen, Geschichten und Magie. Im Bestfall finden sie genau das vor Ort im Laden ihres Vertrauens – dort, wo eine Interaktion auf persönlicher Ebene stattfindet, die so online nicht zu finden ist. 

Auch der Online-Branchenriese Amazon hat das mittlerweile erkannt und (vorerst nur) in den USA Buchhandlungen eröffnet, die gleichzeitig als Abhol- oder Rückgabestationen für die online bestellte Ware dienen. Zalando folgte in Europa und kommt nicht mehr ohne Läden aus. Zurück zu den Wurzeln.

In einer Zeit, in der Nachhaltigkeit – und zwar nicht nur die ökologische, sondern auch die monetäre!, Stichworte: galoppierende Inflation und Energiekrise – zusehends täglich an Wichtigkeit gewinnt, punkten kurze Wege. Was könnte nachhaltiger sein als mit Familie, Partner, Freunden oder wem auch immer im Laden nebenan zu stöbern oder das Fahrrad zu nehmen, um seinen Einkauf gleich mit nach Hause zu nehmen?! Keine Lieferung, keine Retouren, kein überflüssiger Ressourcenverbrauch, keine zusätzlichen Kosten für den Kunden. Die Produkte vor Ort sind sofort verfügbar. 2018 waren es allein in Deutschland 280 Mio. Pakete bzw. 490 Mio. Artikeln, die online bestellt wurden und retourniert werden mussten. 

Der Laden nebenan ist aber nicht nur Erlebnistempel. Er erfüllt auch kommunikative Aufgaben. Denn wer in den Laden vor Ort geht, um einzukaufen, der wünscht dort das persönliche Gespräch. Die zwei zurückliegenden Corona-Winter, und nicht nur die, haben viele Menschen in die Einsamkeit getrieben. Und zwar nicht nur alte. Verordnete und sich selbst auferlegte Distanz, Homeoffice etc., haben die soziale Interaktion, das echte Treffen zwischen Menschen, den Austausch, das sich die Hände schütteln auf ein Minimalmaß reduziert oder ganz unmöglich gemacht. Online-Angebote, die diese Defizite kompensieren sollten – Zoom, Teams & Co. – schossen aus dem Boden bzw. wurden optimiert. Und das ist, auch für den künftigen beruflichen Alltag, sicher gut so. Nur: Im privaten Leben sehnen sich die meisten Menschen nach etwa anderem. Keiner ist eine Insel. Nach Corona einmal mehr. 

Sie glauben ja nicht, wie viele Gespräche ich in meinem Laden führe, die nichts mit meinem Sortiment, nichts mit einem Produkt, nichts mit „Fräulein von Feder“ zu tun haben. Da ist die Omi von gegenüber, die einfach so regelmäßig unregelmäßig hereinschaut, um zu quatschen oder ihr Herz auszuschütten. Oder der Teenager aus der Nachbarschaft, der mit mir über alles Mögliche redet. Man winkt sich zu, man schenkt sich ein Lächeln, und ab und an verquatscht man sich, weil es einfach nur gut tut oder aber dringend nötig erscheint. In Personalunion ist man als Ladeninhaber im Bestfall also Verkäufer, Berater, Trendscout, Gesprächspartner, Nachbar, und noch viel mehr. Auf jeden Fall eine verlässliche Größe im Kiezalltag. Auch das macht Wohnviertel lebenswert und individuell. Da ist noch viel Luft nach oben.

Die Eingangsfrage beantworte ich daher gern so: Ich brenne aus all den oben genannten Gründen für den lokalen, für den stationären Einzelhandel. Ich bin tief überzeugt, von der Notwendigkeit kleiner Läden vor Ort und ihrer Zukunft. Der stationäre Einzelhandel, der Laden um die Ecke ist nicht tot wie schon lange prognostiziert. Im Gegenteil: Er wird mehr gebraucht als eh und je. Der Laden nebenan muss sich nur neu erfinden; muss neu erfunden werden. Ich hoffe, das gelingt mir immer wieder aufs Neue.


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